Der Schleicherangriff geschah auf einem Friedhof und verwandelte sich schnell in einen Krimi, der eine hitzige Debatte über die Rückkehr der Wölfe in die Wildnis in Deutschland entfachte. Ein städtischer Gärtner berichtete, dass er an einem Novembermorgen an einem gusseisernen Zaun kniete, als sich ein vierbeiniges Raubtier von hinten näherte und seine Reißzähne in seinen linken Unterarm versenkte.
Fassungslos schlug der 55-jährige, nicht namentlich genannte Mann mit einem Hammer auf das Tier ein und verscheuchte es, wie er der Stadtverwaltung im niedersächsischen Steinfeld berichtete: „Mann vom Wolf angegriffen“, titelte die Bildzeitung und fügte lediglich ein Fragezeichen hinzu – und damit einen Zweifel, ob der unbestätigte Angriff tatsächlich stattgefunden hat – weiter unten in dem Artikel.
Laboruntersuchungen an der Bisswunde, der Kleidung und dem Hammer des Mannes ergaben keine Speichel-, Fell- oder andere genetische Spuren eines Wolfes. Einige Beobachter haben sich gefragt, ob der Täter ein wilder Hund gewesen sein könnte. Während der Gärtner mit einer Bisswunde und einem bösen Schreck davongelaufen ist, hat der Fall in einer hochpolitisierten Debatte grundlegende Bedeutung erlangt. Wölfe waren in Deutschland über 150 Jahre lang ausgestorben und kehrten erst im Jahr 2000, nachdem sie die Grenze zu Polen überschritten hatten, wieder zurück. Seitdem waren keine Angriffe auf Menschen mehr zu verzeichnen.
Lagerfeuerwachen
Umweltschützer haben die Rückkehr des europäischen Grauen Wolfes gefeiert, einer Schlüsselart, die in der deutschen Folklore und den Märchen der Gebrüder Grimm verwurzelt ist. Doch die Tiere lösen bei Schafzüchtern, Reitern – und einigen überwiegend rechten Politikern – Angst und Hass aus, die das Thema in einem Jahr mit drei Landtagswahlen in Ostdeutschland, dem Gebiet der Wölfe, aufgegriffen haben.
Die Anti-Wolf-Lobby weist auf Wolfsangriffe hin, wie im Oktober letzten Jahres, als die Jäger eine eingezäunte Schafherde durchbrachen und rund 40 blutige Kadaver auf einem Feld verstreut hinterließen. Bauern beschweren sich oft darüber, dass das Aufstellen von Elektrozäunen und der Einsatz von Hunden zur Bewachung ihrer Herde unpraktisch und teuer ist.
Eine wachsende Gruppe von Wolfsgegnern hat Lagerfeuerwachen veranstaltet und Petitionen und Kampagnen in den sozialen Medien gegen das, was sie als rücksichtslosen Killer ansehen, gestartet. Die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD), bekannt für ihre Geländer gegen Einwanderer, war die erste Partei, die gegen die pelzigen Neuankömmlinge kämpfte. In Anlehnung an ihre Worte zur Begrenzung der Zahl der Asylbewerber in Deutschland haben sie eine Obergrenze für die Wolfspopulation gefordert.
„Die Tiere verlieren die Angst vor dem Menschen, wenn sie ihn nicht mehr als natürlichen Feind sehen“, sagte die Hauptsprecherin der AfD für die Wölfe in Sachsen in einer Stellungnahme.
„Im Falle des Wolfes kann dies zu Angriffen führen… auch auf den Menschen.“Zufällig heißt sie Silke Grimm. Einige Beobachter haben angedeutet, dass viele der schätzungsweise 700-800 Wölfe, die in Deutschland umherziehen, eigentlich Wolfshundhybriden sind, was sie vom Schutzstatus der Wölfe ausschließen würde: „Bastarde in Deutschland – Hunde in Wolfskleidung?“ lautete die provokante Schlagzeile in der Jagdzeitschrift „Jagd und Hund“.
Die konservative CDU-Partei von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die durch die AfD schwere Verluste erlitten hat, hat sich kürzlich für die regionale Ausrottung von Wölfen ausgesprochen, um das Bevölkerungswachstum zu begrenzen.
Geheimnis um Mafia-Wolf
Der Naturführer Stephan Kaasche beißt den Kiefer zusammen, als er zu den geplanten Keulungen befragt wird.
Kaasche, 43, ist fest im Pro-Wolf-Camp, nachdem er seine Jugendliebe für die Tiere zu einer Vollzeitbeschäftigung als Wildtierdozent gemacht hat.
„Zehn Prozent der Wölfe werden jetzt schon illegal geschossen“, sagt er. „Aber das hält die Wölfe nicht davon ab, sich den Städten zu nähern, genauso wenig wie die Wildschweine. An einem frostigen Morgen stand Kaasche kürzlich mit dem Fernglas in der Hand am Rande eines riesigen ehemaligen Kohletagebaues, der zum Naturschutzgebiet in der sächsischen Lausitz wurde.
Hier, nahe der polnischen Grenze, wurde im Jahr 2000 Deutschlands erster Wurf Wolfswelpen in freier Wildbahn geboren – von einem Weibchen namens „Einauge“: „Da, ein Wolf“, rief er aus und zeigte auf ein langbeiniges Jungtier, das durch das ferne Unterholz schlich.
Andere hätten an dieser Stelle gerne abgedrückt. Tatsächlich sind in Deutschland seit dem Jahr 2000 etwa 280 Wölfe von Menschenhand getötet worden, so eine Zählung der Polizei. Die meisten wurden überfahren, aber etwa drei Dutzend wurden illegal erschossen und einige wurden geköpft.
Im Juni vergangenen Jahres tauchte sogar ein aufgeblähter Wolfskadaver in einem Lausitzer Dorfsee auf. Da er mit einem Betonklotz beschwert war, bezeichnete die Polizei ihn als „Mafia-Wolf“. Die seltsame Art und Weise, wie der Wolf entsorgt wurde, ist aber vielleicht gar nicht so mysteriös, da die Verletzung oder Tötung eines Wolfes mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft wird. Einige lokale Jäger haben Berichten zufolge die „Drei-S-Regel“ – kurz für „Schießen, Schaufeln, Schweigen“ – übernommen.
Ungewissheit und Angst
Die Debatte um Deutschlands Wölfe wird oft als eine Debatte zwischen idealistischen grünen Stadtbewohnern und hartgesottenen Landbewohnern dargestellt, die nur ihre Lebensgrundlage und ihre Familien schützen wollen: „Der Wolf ist Deutschlands politischstes Tier“, schrieb die Wochenzeitung Die Zeit. „Man ist entweder für oder gegen sie.“
Der Zeitungsverleger Stefan Aust hat argumentiert, dass „der Wolf bereits unter den Nazis als eine Art Meistertier mythologisiert wurde.
„Jetzt ist er aus verschiedenen Gründen zu einem Symbol für eine naive Verherrlichung der Natur geworden.“ Was den Friedhofsüberfall angeht, so ist die Jury noch nicht entschieden. Niemand sonst hat es gesehen – außer drei anderen Wölfen, sagt der Gärtner -, die dort waren.
Kaasche bestand zwar darauf, dass Wölfe den Menschen nicht als Nahrung betrachten, räumte aber ein, dass sich ein neugieriger Jugendlicher einem knienden Menschen nähern könnte. Die Angst vor Wolfsattacken in Deutschland stamme meist aus der Zeit, als Tollwut vorherrschte und ein Biss eines infizierten Tieres tödlich war, sagte er.
Aber Deutschland sei seit einem Jahrzehnt tollwutfrei, sagte er: „Was diese Geschichte sicherlich getan hat, ist, Unsicherheit und Angst zu schüren“, fügte er hinzu.